Zürcher Filmpreis

Zürcher Filmpreis 2021

Eine jährlich wechselnde Fachjury traf die Entscheidung über die Preisvergabe. Sie bestand aus drei Dreiergremien: Eine dreiköpfige Jury für den Kurzfilm, eine für den langen Dokumentarfilm und eine für den langen Spielfilm. In jeder der drei Kategorien gibt es einen Preis für den besten Film. Zusätzlich zeichnet jede Jury zwei besondere Leistungen aus, beispielsweise für Kamera, Musik, Drehbuch und weitere am Film beteiligte Personen.

Preise für den besten Film 2021

Zürcher Filmpreis 2021 für den besten Kurzfilm
«Mussies Zimmer» von Felix Hergert, produziert von Sabotage Filmkollektiv, Zürich

Begründung der Jury:
Unaufgeregt und mit klaren, einfachen Mitteln erzählt der Regisseur Felix Hergert den Alltag des jungen Eritreers Mussie, der über drei Jahre lang auf seinen Asylentscheid wartet. In seinem Zimmer in einem Schweizer Dorf sitzend erzählt Mussie dem Filmemacher davon. Das Besondere daran ist, dass dem Regisseur dabei eine Begegnung auf Augenhöhe gelingt. Er beobachtet seinen Protagonisten nicht nur, sondern schafft eine glaubhafte Nähe zu ihm. Der Film besticht in seiner Vielschichtigkeit und gleichzeitig durch seine Schlichtheit. Und er ist ein gelungenes Beispiel für eine Generation von Filmschaffenden, die sich auf dem Sportplatz und auf der Strasse trifft und Diversität nicht nur zeigt, sondern lebt.

 

Zürcher Filmpreis 2021 für den besten Dokumentarfilm
«Dida» von Nikola Ilić & Corina Schwingruber Ilić, produziert von Dschoint Ventschr Filmproduktion, Zürich

Begründung der Jury:
Dida lebt mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung in Belgrad. Sie ist eine besondere Frau und die Mutter des Regisseurs – oder andersherum? So einfach der Ansatz dieses aussergewöhnlichen Films ist, so komplex ist die Aufgabe, die sich hier für den Sohn und seine Frau gleichermassen als Paar und als Regieteam stellt. Wie kann ein Sohn seiner Mutter helfen, ihr Leben zu leben, ohne seine eigene Unabhängigkeit zu verlieren? Wie soll das gehen, wenn man nicht in der gleichen Stadt, ja nicht einmal im gleichen Land lebt? Und was passiert, als auch noch die Grossmutter stirbt und Dida nicht alleine leben kann?

Das Genre des ich-erzählten dokumentarischen Familienporträts ist verbreitet und beim Publikum beliebt. Die Kunst besteht darin, intime Einblicke, die nur aus dieser Perspektive möglich sind, zu gewähren und doch etwas Allgemeingültiges darüber hinaus zu erzählen. «Dida» ist ein intimes, detailreiches und humorvolles Porträt einer Familie und umfasst dabei grosse Themen: Den Generationenkonflikt, die Frage der Verantwortung der Kinder für ihre Eltern und nicht zuletzt die interkulturellen Hürden, die sich stellen, wenn Familien in verschiedenen Ländern leben.

Nikola Ilić und Corina Schwingruber Ilić halten sich ganz an die Authentizität des Geschehens und trauen sich doch, erzählerisch virtuos zwischen Balkan Blues und Balkan Beats zu changieren. Ein Film, der für uns alle noch mehr als eine wirkliche emotionale Bereicherung ist.

 

Zürcher Filmpreis 2021 für den besten Spielfilm
«Spagat» von Christian Johannes Koch, produziert von Catpics, Zürich

Begründung der Jury:
Das Leben ohne Aufenthaltsbewilligung: „Spagat“ erzählt auf einnehmende Weise vom Leben in der Schweiz, ohne das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Dass der Filmemacher dafür hauptsächlich weibliche Perspektiven wählt, nämlich jene einer Lehrerin, die plötzlich nicht weiss, wohin sie gehört, und jene eines jungen Mädchens, das – wie alle in ihrer Klasse – eigentlich nur dazugehören möchte, ist beeindruckend. Dabei zeigt «Spagat» die verschiedenen Perspektiven mit viel Einsicht. Der Regisseur inszeniert diese einfühlsam und überzeugend, poetisch und authentisch zugleich.

Bei «Spagat» handelt es sich um den ersten abendfüllenden Spielfilm des Schweizer Regisseurs Christian Johannes Koch, was die Poetik, Ästhetik und Überzeugungskraft dieses Werks noch eindrücklicher macht. Und uns gespannt auf die nächsten Beiträge des Regisseurs und seines Teams warten lässt. Darum freuen wir uns, «Spagat» als den besten Spielfilm auszuzeichnen.

 

Auszeichnungen

Kategorie Kurzfilm

Jela Hasler
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für die Regie in «Über Wasser»

Begründung der Jury:
Was bedeutet es, heutzutage als junge Frau in einer anonymen Grossstadt durch den Tag zu kommen? Eine Antwort auf diese Frage gibt uns der Kurzfilm von Jela Hasler. Sie entwirft einen Tag im Leben einer jungen Frau und gibt dem Publikum einen Einblick in die Art und Weise, mit der sie sich in der Gesellschaft bewegt und sich in kleinen und grösseren Momenten belästigt und ohnmächtig fühlt. Der Regisseurin, die bisher vor allem im dokumentarischen Genre unterwegs gewesen ist, gelingt es in ihrer fiktionalen Arbeit, eine Kohärenz in Schauspielführung und Rhythmus umzusetzen und ein wichtiges Thema prägnant im kurzen Format zu vermitteln. Diese Leistung überzeugt.

 

Kezia Zurbrügg und Philipp Ritler
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für das Bildkonzept in «In guten Händen»

Begründung der Jury:
Coaching, Sorgentelefon, psychologische Begleitung. In diesen und weiteren Bereichen versuchen Menschen anderen Menschen beizustehen, sie zu begleiten und Nähe zu schaffen in einer Zeit, in welcher viele einsam sind. Der Kurzfilm gibt Einblick in diese zwischenmenschliche Hilfeleistung und macht mittels seiner sorgfältig komponierten Bildsprache und feiner Kameraführung deutlich, dass es sich dabei um eine professionelle Dienstleistung handelt, um einen Beruf. Die filmischen Tableaus, welche auf schlichte Weise einen Beruf nach dem anderen zeigen, beweisen ein sehr gutes Auge für Komposition und Bildgestaltung sowie ein Gespür für Inszenierung. Das künstlerische Konzept besticht in seiner Klarheit: Mit einem Blick aus der Distanz wird Nähe und Empathie vermittelt.

Kategorie Dokumentarfilm

Gabriel Lobos
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für die Kamera in «Apenas el sol»

Begründung der Jury:
Unermüdlich durchquert Mateo Sobode Chiqueno mit seinem alten Kassettenrecorder die karge Landschaft des paraguayischen Chaco. Er ist der Chronist seines nomadischen Volkes, den Ayoreo, das von Missionaren gewaltsam aus seiner fruchtbaren Heimat im Urwald von Paraguay vertrieben worden ist. Nun leben sie in einer Zwischenwelt ohne Perspektive.

In diese Welt führt uns Gabriel Lobos mit seinen feinfühligen und respektvollen Bildern, die den kolonialen Blick nicht verheimlichen, aber die Würde der Menschen vermitteln. Während der Protagonist die Erinnerungen und Lieder seines Volkes auf Audiokassetten festhält, wird die sensible Kamera von Gabriel Lobos zum Zeugen der trostlosen Gegenwart und der Entwurzelung der Ayoreo.

Dabei offenbart sich die Fragilität ihrer Erinnerungen (nicht nur) in Form von Matteos von Wind und Staub bedrohten Kassetten.

Gabriel Lobos Blick bewegt sich in ruhigen, atmenden Tableaus durch die Situationen. Er findet die richtige Nähe zu seinen Protagonisten, ohne die Distanz zu verlieren oder das Geschehen zu werten. Die empathische, konsequent beobachtende Gestaltung, der Sinn fürs Detail und die Interaktion zwischen Mensch und Landschaft in Cinemascope, lässt Raum für eigene Wahrnehmungen und Assoziationen. Neben der souveränen Regie von Arami Ullón ist es insbesondere Gabriel Lobos wunderbaren Bildern zu verdanken, dass uns der Film sofort einen Zugang zu dieser entlegenen Welt finden lässt, die in ihrer Zärtlichkeit und erlebten Brutalität ungemein berührt.

 

Lesia Kordonets
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für die Regie in «Pushing Boundaries»

Begründung der Jury:
Die Besetzung der ukrainischen Krim durch die russische Armee löste während der paralympischen Spiele im März 2014 internationale Verwicklungen aus, die im Grenzgebiet zwischen den beiden Staaten aktuell immer noch schwelende kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge haben. Dieses grosse Thema anhand der an Hürden reichen Vorbereitung der ukrainischen paralympischen Mannschaft zu erzählen, deren Trainingszentrum auf der besetzten Halbinsel Krim liegt, erweist sich als geniale Entscheidung der Regisseurin Lesia Kordonets.

Souverän und detailreich erfahren wir vom Kampf verschiedener Protagonistinnen und Protagonisten in den Sportarten Rudern, Gewichtheben und Volleyball um ihre Qualifikation für die Spiele in Rio de Janeiro; vom Kampf des nimmermüden Direktors des ukrainischen paralympischen Teams für die Rechte seiner Sportlerinnen und Sportler sowie auch von den politischen und militärischen Entwicklungen des Konflikts.

Der Mut von Lesia Kordonets, in ihrem ersten abendfüllenden Film einem relevanten, politischen Thema mit einem grossen Ensemble von Protagonisten zu folgen, wird erzählerisch umfassend belohnt. Wir erleben den staatlichen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland im Leben und Streben der Protagonistinnen und Protagonisten zutiefst emotional gespiegelt. Der Film lässt uns erleben, wie die Athleten und Athletinnen über ihre körperlichen Grenzen hinauswachsen, während um sie herum die politischen Grenzen hin- und hergeschoben werden.

Kategorie Spielfilm

Auszeichnungen in der Kategorie Spielfilm

Noemi Preiswerk
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für die Montage in «Youth Topia»

Begründung der Jury:
Wann werden wir erwachsen, wann sind wir es? Ein Ausblick in eine Zukunft, in der ein Algorithmus über Karrieren und Lebensmodelle entscheidet und die Jugendlichen über etwas verfügen, das den Erwachsenen abhanden gekommen ist: Gemeinschaft.

Der unkonventionell gedrehte Film «Youth Topia» besticht insbesondere durch kluge, wohl bedachte Montage. Cutterin Noemi Preiswerk hat die oftmals improvisierten Szenen mit sicherem Gespür ausgewählt, die schauspielerische Leistung durch ihre Auswahl verdichtet, die Szenen dramaturgisch und rhythmisch zu eindrücklichen Sequenzen zusammengefügt.

Ihr ist es gelungen, die originelle Bildsprache, das authentische Schauspiel und die schräge Story zu einem überzeugenden Ganzen zusammenzufügen. Ihr kreativer Beitrag hat die Jury nicht nur bei «Youth Topia» überzeugt, sondern auch bei «Monte Verità»: Auch dort trägt ihre Montage entscheidend zum gelungenen Rhythmus und zur kraftvollen Form des Filmes bei.

Wir freuen uns, mit Noemi Preiswerk eine herausragende Vertreterin des viel zu oft übersehenen Berufs der Montage auszeichnen zu dürfen, den sie mit handwerklicher Genauigkeit und gleichzeitig mit künstlerischem Elan ausgestaltet.

 

Magaly Solier
Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis 2021 für das Schauspiel in «The Saint of the Impossible»

Begründung der Jury:
Auf den heissen Strassen der Bronx, heute: eine peruanische Frau und ihre zwei halbwüchsigen Söhne leben und überleben ohne Aufenthaltsgenehmigung in der brodelnden Metropole. In dichten, fiebrigen Bildern erzählt «The Saint of the Impossible» von der Suche nach Unabhängigkeit, Freiheit, Liebe und Glück.

Im Auge dieses Taifuns steht eine starke Frau: Die peruanische Sängerin und Schauspielerin Magaly Solier verkörpert die peruanische Einwanderin Raffaella mit Verve, Kraft und fein ziselierter Emotion. Als «Mama Burrita» eröffnet sie mithilfe eines Schweizer Schundroman-Autors in ihrer Wohnung einen lateinamerikanischen Catering-Service. Magaly Soliers Darstellung oszilliert ebenso gekonnt wie mitreissend zwischen Lebensfreude, physischer Erschöpfung, der Liebe zu ihren Kindern und der berechtigten Wut auf die per se ungerechten Verhältnisse. Im Finale des Films, als ihre kleine Welt in Trümmern zu liegen scheint, eröffnet ein Anruf eine neue Perspektive – und im Gesicht dieser Frau am Telefon spiegelt sich in diesem klaren Moment die Idee von Glück. Dum spiro, spero – solange ich atme, hoffe ich: Magaly Solier gibt diesem Satz mit ihrer Kunst buchstäblichen Sinn.

 

Die eingereichten Filme 2021

Kategorie «Bester Kurzfilm»

Dirt Devil 550 XS (Rolf Hellat/Nordhang Film)
Downriver (Andrea Boll/unico)
For Real, for Real, for Real this time (Milva Stutz/Milva Stutz Filmprodutkion)
In guten Händen (Kezia Zurbrügg, Philipp Ritler/Dynamic Frame)
Mussies Zimmer (Felix Hegert/Sabotage Filmkollektiv)
Paxmal (Sven Schnyder/Sebastian Klinger)
Real News (Luka Popadić/Catpics)
Schalentiere (Nina Kovacs/TILT Production)
Über Wasser (Jela Hasler/Langfilm)

Kategorie «Bester Dokumentarfilm»

Apenas el sol (Arami Ullón/Cineworx Filmproduktion)
Cheibe Zürcher (Nicolas Yves Aebi/Soltmannowski Kommunikation)
Das neue Evangelium (Milo Rau/Langfilm)
Der Ast, auf dem ich sitze (Luzia Schmid/Dschoint Ventschr Filmproduktion)
Dida (Nikola Ilić, Corina Schweingruber Ilić/Dschoint Ventschr Filmproduktion)
Ich habe in Moll geträumt (Ueli Meier/Sihlfeld Film)
Kleine Heimat (Hans Haldimann/Haldimann Filmproduktion)
Love will come later (Julia Furrer/Freihändler Filmproduktion)
Menschenskind! (Marina Belobrovaja/GOLDEN EGG PRODUCTION)
Mitholz (Theo Stich/LUMENFILM)
Pushing Boundaries (Lesia Kordonets/Dschoint Ventschr Filmproduktion)
Suot Tschêl Blau (Ivo Zen/Alva Film Production)
The Bubble (Valerie Blankenbyl/Catpics)
The Scent of Fear (Mirjam von Arx/ican films)
The Tiger Mafia (Karl Amman, Laurin Merz/HOOK Film & Kulturproduktion)
W. – was von der Lüge bleibt (Rolando Colla/Peacock Film)
Wild – Jäger und Sammler (Mario Theus/Lucky Film)

Kategorie «Bester Spielfilm»

Beyto (Gitta Gsell/Lomotion)
Monte Vetrità (Stefan Jäger/Tellfilm)
Prinzessin (Peter Luisi/Spotlight media productions)
Sami, Joe und ich (Karin Heberlein/ABRAKADABRA FILMS)
Spagat (Christian Johannes Koch/Catpics)
Stürm: Bis wir tot sind oder frei (Oliver Rhis/Contrast Film Zürich)
The Saint of the Impossible (Marc Wilkins/Dschoint Ventschr Filmproduktion)
Tides (Tim Fehlbaum/Vega Film)
Von Fischen und Menschen (Stefanie Klemm/Dschoint Ventschr Filmproduktion)
Wanda, mein Wunder (Bettina Oberli, Zodiac Pictures)
Youth Topia (Dennis Stormer/Tellfilm)